Ein UN-Abkommen zum Schutz der Hochsee wäre wichtig — der Freitag

2022-08-12 17:38:13 By : Admin

Oft werden die Ozeane als letzte Rückzugsorte der Natur angesehen: als riesige und leere blaue Wildnis, in der Wellen, Wale und Albatrosse ihre Kreise ziehen, unberührt von der Zerstörung, die die menschliche Zivilisation ansonsten über unseren Planeten gebracht hat. Doch das stimmt nicht mehr. Denn fast unbemerkt geschieht in unseren Meeren gerade eine industrielle Revolution.

In den vergangenen Jahrzehnten sind maritime Industrien exponentiell gewachsen. Dazu gehören die Offshore-Förderung von Öl und Gas, die Nutzung von Wind- und Gezeiten-Energie sowie Aquakultur – die Züchtung von Fischen in Unterwasserfarmen, der am schnellsten wachsende Sektor der Lebensmittelproduktion weltweit. Unterwasser-Datenkabel von mehr als einer Million Kilometer Länge durchziehen die Meere. Mehr als die Hälfte unserer Ozeane wird befischt. Heute werden 1.600 Prozent mehr Güter auf Schiffen transportiert als noch in den 1980er Jahren.

Bei der Eroberung der Meere durch den Menschen ist kein Ende in Sicht. Neue Industriezweige drängen in die Ozeane: Kommerzielle Unternehmen entwickeln Verfahren zum Meeresbergbau im Pazifik, zur Fischerei in der Tiefsee und zum Geo-Engineering im Meer.

All das verdeutlicht die Dringlichkeit eines neuen UN-Vertrags, der vor kurzem eigentlich abgeschlossen werden sollte, dann aber auf unbestimmte Zeit vertagt wurde: das UN-Abkommen über den Hochseeschutz, das seit 2018 verhandelt wird. Inzwischen ist die Zeit für die vierte Verhandlungsperiode abgelaufen, was bedeutet, dass die UNO-Vollversammlung nun einer Verlängerung zum Abschluss der Vertragsverhandlungen zustimmen muss.

Die Hochsee umfasst alle Gewässer außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen der Anrainerstaaten, also jenseits von 200 Seemeilen vor der Küste. Sie macht zwei Drittel der Weltmeere aus. Diese riesige Fläche gehört niemandem, was heißt: Sie gehört uns allen. Doch leider funktioniert die Teilhabe nicht. Ungefähr 97 Prozent der industriellen Fischerei auf hoher See werden von reichen Nationen kontrolliert, 86 Prozent davon entfallen auf nur fünf Länder.

Die biologische Vielfalt der Hochsee ist einzigartig – aber auch zerbrechlich und durch den Boom der maritimen Industrie bedroht. Viele Walarten sind nicht nur wegen des Walfangs, sondern auch wegen Begegnungen mit der Fischerei- und Schifffahrtsindustrie vom Aussterben bedroht. Meeresschnecken sind vom Tiefseebergbau gefährdet. Eine Hochseeregion im Pazifik beherbergt eine uralte unterseeische Gebirgskette, deren Gipfel sich aus der Tiefe erheben, wo sie mit Kronen aus goldenen Korallen geschmückt sind, von denen einige mehr als 4.000 Jahre alt sind und die von Schwärmen von Fischarten flankiert werden, die nirgendwo sonst auf der Erde zu finden sind. Genau dieses Gebiet wird durch die Fischerei mit Grundschleppnetzen und den geplanten Meeresbergbau gefährdet.

Das UN-Abkommen zur Artenvielfalt in der Hochsee barg die Hoffnung, dass zumindest einige dieser negativen Trends umgekehrt werden könnten. Ein wichtiges Element des Abkommens wäre die Möglichkeit, Meeresschutzgebiete auf hoher See einzurichten. Eine Gruppe von rund 60 Staaten hat sich bereits als „High Ambition Coalition“ unter der UN-Klimarahmenkonvention verpflichtet, bis zum Jahr 2030 30 Prozent unserer Ozeane unter Schutz zu stellen. Leider hinken wir hier gewaltig hinterher. Bestenfalls acht Prozent der Weltmeere sind bisher geschützt.

Heute ist ein Mosaik von mehr als 20 Organisationen für unsere immer stärker beanspruchten Hochseegebiete zuständig. Vieles fällt dabei durch das Netz: Es gibt keine klaren Zuständigkeiten, sondern planlose Entwicklung. In dem Maße, wie die industrielle Revolution zur See die Bewirtschaftung unserer Ozeane vorantreibt, rücken Lösungen für einen nachhaltigen Umgang mit der Hochsee in weite Ferne. Untätigkeit bedeutet, dass die Industrie über das Schicksal der Weltmeere entscheiden wird. Die Ozeane liefern etwa die Hälfte des weltweiten Sauerstoffs, sie bieten Nahrung für Milliarden von Menschen – das UN-Abkommen betrifft nicht weniger als unser aller Schicksal.

Douglas J. McCauley ist Professor für Meereskunde an der University of California

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