Galerien - Roland Maurmair: Ehrliche Biolügie - Wiener Zeitung Online

2022-06-10 17:35:31 By : Admin

Roland Maurmair ist nicht der Sensenmann, er ist der "SensenBoss".

Bio ist eben "in". Auch wenn man das inzwischen sogar schon beim Diskonter kriegt. Für viele ist es zwar immer noch Luxus, aber für manche offenbar nicht mehr Luxus genug (jetzt, wo es für – fast – jeden erschwinglich ist, sich umweltverträglicher und gesünder zu ernähren). Was Roland Maurmair in seinem Garten im oberösterreichischen Frankenmarkt produziert (Bezirk Vöcklabruck), ist jedenfalls nicht einfach Bio (das sowieso), sondern "Bio Deluxe". Ökologisch erzeugt mit allem Luxus. Allem, wohlgemerkt.

Okay, den Begriff hat nicht ER erfunden, der existiert längst. Er hätte das einmal gegoogelt ("Bio de luxe"), sagt der gebürtige Tiroler (Erntejahr: 1975), und über 80 Millionen Einträge gefunden. (Was? So viele? Kann das sein? Das hab ich selbstverständlich gleich überprüft. Mit dem Resultat: "Ungefähr 101.000.000 Ergebnisse." In Worten: hunderteins Millionen! Gut, da ist der Maurmair bereits dabei.) "Das hat mich a bissl schockiert. Wie kann denn Bio Luxus sein?" Außerdem schaut SEIN Bio irgendwie anders aus als das Bio in den Geschäften: "Ich zieh zehn Karotten raus, dann hat eine vielleicht die Form wie im Supermarkt."

Eigentlich ist er ja Künstler und nicht Bio-Bauer von Beruf. Das Gemüse, das er gerade im Bioladen 01 (Tschuldigung: BILDRAUM 01) präsentiert, wo man quasi das Essen wachsen hören kann (oder immerhin sehen), ist trotzdem echt. Bis auf das an den Wänden. Das ist bloß gezeichnet und koloriert. Und mit Nobelmarkenlabels bedruckt. Dass das keine gewöhnlichen Bio-Erdäpfel, -Rüben oder -Gurken sind, die da unter der Wachstumslampe großgezogen werden, das fällt einem freilich vermutlich erst auf, wenn man liest, was auf den Pflanzsäcken draufsteht. Lauter Namen von Mode- und Kosmetikkonzernen.

Das SIND nämlich in Wahrheit keine Pflanzsäcke. Das waren ursprünglich "Dustbags". Staubbeutel. Nein, nicht für den Staubsauger. Vielmehr Schutzhüllen für hochpreisige Taschen oder Schuhe. Und was ist in DEM Sackerl drin? Neben den Guccini? (Hoppala: Zucchini!) "A Erdkirsche. Die macht so klane Kugalan, die kamma dann essen."

"SensenBoss" in Action: Offensichtlich gibt's einen Dresscode beim Luxus-Bioheu-Mähen und Roland Maurmair hält sich brav daran.

Stubenreine Pflanzen, die brav aufs Topferl gehen, findet man hier keine (obwohl: Topfpflanzen waren sie VOR ihrer Übersiedlung in den Beutel), dafür welche, die in die Designertasche machen. Bzw. baut Maurmair in einer solchen Gras an. Gras? Ist das nicht illegal? Nur, wenn man es rauchen kann und man davon high wird. Nicht, wenn es sich um diese grünen Halme aus Freilandhaltung handelt. Ach, und dieses Grünzeug mit Klee soll man nun als Accessoire mit sich herumtragen wie einen Taschenhund? (Hunde gibt es bekanntlich ebenfalls nicht ausschließlich aus Bodenhaltung.) Ist das der Chihuahua für naturverliebte Städterinnen? Noch dazu eine Tasche ohne tierische Inhaltsstoffe. Außer, es sind Regenwürmer darin. Moment: Könnten womöglich die der letzte Schrei sein? Taschenregenwürmer? Nicht unbedingt.

Heißen tut die Taschen-Wildnis zumindest "Das kleine Rasenstück". Eine lebende Hommage an Albrecht Dürers "GROSSES Rasenstück" (1503), die sich (aus Respekt vor dem großen Vorbild?) bescheiden kleinmacht. Hochaktuell und zeitgemäß und zugleich in die altehrwürdige Kunstgeschichte eingeordnet. Und mit einem weiteren Markennamen verknüpft, einem aus der Renaissance.

Passenderweise hat der Alte Meister, der beinah buchhalterisch jeden Grashalm einzeln aufgelistet, in der Wiese regelrecht Inventur gemacht hat (Rispengras, Löwenzahn, Schafgarbe . . .), seine Bilder genauso gern mit seinem Monogramm signiert (einem A mit einem geschrumpften D zwischen den Schenkeln) wie der berühmte Hersteller der meistgefälschten Taschen SEINE Werke mit SEINEN Initialen. Und, he, das "kleine Rasenstück" des JUNGEN Meisters ist gewissermaßen ebenso ein Aquarell wie das große des Alten. Oder wird es nicht mit Wasser gegossen, sondern mit Champagner?

Ein Video zeigt den Gärtner "at work". Und mit einer Gießkanne. Das mysteriöse Symbol auf dieser (wie auf einem Parfumflakon) deutet darauf hin, dass das kein ordinäres Wasser ist. Eau de Jardin? Oder ein ähnliches Prinzip wie beim Granderwasser? Energetisiert das Logo normales Leitungswasser mittels "Informationsübertragung" zu . . . Chanel Nr. 5?

Wirkt an sich ganz friedlich, die Szene. Geradezu idyllisch. Andererseits: Pazifist darfst als Gärtner halt KEINER sein. Auf der Vernissage war Maurmair gar wie ein Bio-Krieger angezogen. Im Military-Look. ("Kultur bedeutet Krieg. I befind mi im täglichen Kampf mit den Schnecken, den Wühlmäusen, Kartoffelkäfern und dem Unkraut. Wenn i was kultivieren will, muss i töten.") Beim Garteln ist er allerdings eh Zivilist, sieht er mehr aus wie ein Anwalt (lediglich ohne Krawatte), trägt er, auf jeden Fall, wenn eine Kamera dabei ist, einen verdammt hellen Hugo-Boss-Anzug. Und auf dem ist kein einziger Blutfleck. KLAGT er die Feinde eventuell aus seinem Garten raus? Oder werden sie vergiftet? Nein, "ka Gift". Alle werden liebevoll per Hand vom Schlachtfeld entfernt. Die Schnecken sammelt er ein, die Kartoffelkäfer klaubt er von den Blättern ab, für die Wühlmäuse stellt er Fallen auf.

Da hat einer wohl Gras wie Heu, nämlich der Roland Maurmair.

Moment: Hugo-Boss-Anzug? Kein Wunder, dass Bio mehr kostet, wenn sich die Gärtner so unkonventionell gewanden. Nicht wie in der konventionellen Landwirtschaft. Was hat er denn für den geblecht? 50 Euro. Auf willhaben. Maurmair: "I wollt’s net übertreiben." Wer es bis jetzt noch nicht mitbekommen hat: Humor hat er sichtlich auch, der Roland Maurmair, der Na-tur und Kul-tur mit Witz und Raffinesse zu vereinen weiß. Zudem in seiner Biografie: Studiert (und promoviert) hat er an der Angewandten, wo er später am Zentrum für Kunst- und Wissenstransfer unterrichtet hat, und zwischenzeitlich war er an der Universität für Bodenkultur. Und er ist der "SensenBoss", wie ein Tatortfoto beweist, auf dem er als Naturbursch im Angeber-Kulturburschen-Outfit ein NOCH größeres Rasenstück niedermäht. Keine fade grüne Monokultur, aus der ein Zwangsneurotiker jedes verirrte Gänseblümchen ausgerupft hat. Eine vielfältige Ruderalvegetation!

Das Heu im Schaufenster stammt übrigens von dieser Mäh-Performance. Eine Huldigung an den Impressionisten, der zu den unterschiedlichsten Tageszeiten mit seinem Pinsel den Lichtstrahl im Heuhaufen gesucht hat? I wo. Dann wäre der Titel der Arbeit "CM Bioheu" (CM wie Claude Monet) und nicht "D & G Bioheu". Im Häufchen sind schließlich Stoffbeutelchen versteckt. Wieder "Dustbags". Kleine Futtersäcke sozusagen. Snacks für die Biokühe. Rumpelstilzchen kann im Märchen Stroh zu Gold spinnen, Milchbauern können aus Heu Milch gewinnen. Nicht, indem sie es melken wie die Sojabohnen. Zuerst verfüttern sie es an die Heumilchkühe und nachher melken sie DIE.

Inzwischen ist das gemähte Gras ein Heuhaufen: Einblick in Roland Maurmairs "Bio Deluxe"-Ausstellung im Bildraum 01.

Und weil sich der Mensch gern selber als Natur tarnt (geruchlich), als lieblicher Blumenstrauß zum Beispiel, verwendet er Parfums. Maurmair hat gleichfalls eines kreiert. Respektive hat er rote Rüben in einen Edelduft eingeackert, diesen mit seinem unterirdischen Extrakt "geerdet". Und wie riecht das "Parfum de la terre"? "Süßlich erdig, würd ich sagen. Also nicht . . . gut." Meine Nase widerspricht dem Parfümeur, der sein Urteil daraufhin korrigiert: "Is besser worden mittlerweile."

Ernstnehmen darf man hier ohnedies nicht alles. (Stichwort: Ironie.) Etwa wenn auf einer unscheinbaren Radierung notiert ist: "Langweilig." Zugegeben, aufregend ist das Blatt tatsächlich nicht. Was genau ist das überhaupt? "A Grashalm. A LANGWEILIGER Grashalm." Hm. Kenn ich langweiligere.

Nie kann man sich völlig sicher sein: Pflanzt der Typ Gemüse oder in Wahrheit UNS (während er den Bio-Boom aufs Korn nimmt, mit vollem Körpereinsatz satirisch hinterfragt)? Eine ziemlich böse und genauso g’scheite "Naturstudie", die die grauen Zellen dazu anregt, über die derzeitige "grüne Welle" nachzudenken. Und über das zwiespältige Verhältnis des Menschen zur Natur generell, zu diesem ästhetisierten, romantisierten Sehnsuchtsort, der im Grunde nirgends mehr vorhanden ist. Höchstens im tiefsten Regenwald. Der Rest ist zubetoniert oder kultiviert. Frage: Können wir es uns denn leisten, teure Bio-Produkte zu kaufen? Gegenfrage: Können wir es uns leisten, sie NICHT zu kaufen?

Am Ende wird der Künstler in der Galerie eine Kartoffel ernten und mit dieser (oder falls keine "fertig" ist: mit der mitgebrachten Zweitbesetzung von daheim) live einen Bio-de-luxe-Kartoffeldruck machen. Hoffentlich mit Lebensmittelfarben. Damit er die gebrauchte Knolle danach in die Biotonne werfen kann.

Di. – Fr.: 13 – 18 Uhr