Immersive Lichtshows boomen: Ist das Kunst oder Klimbim?

2022-03-02 09:42:32 By : Admin

Monets Seerosen erblühen in Paris und Berlin, Van Goghs Sterne funkeln in Bremen, und Frida Kahlos Skelette tanzen in Zürich. Kunst ist begehbar geworden. Die immersiven Lichtshows ziehen Millionen Besucher in ihren Bann, indem sie Werke großer Maler in gigantischer Größe auf die Wände ausgedienter Industrie-Anlagen projizieren. Aber ist das Kunst? Oder eine digitale Luftnummer? Eine Betrachtung.

Sphärenklänge, der See schillert blau-grün, das Sonnenlicht bricht sich im Wasser, Seerosen wachsen in Windeseile, erblühen in zartem Rosa auf ausgedientem grauen Beton. Hier kann man sich fallen lassen in einen Rausch von Farben, Formen, Tönen und manchmal sogar Wohlgerüchen –  vorsichtig natürlich, wegen des Betons. Man wird eingehüllt in Klangteppiche bekannter Melodien von Beethoven bis Led Zeppelin. Man wird entführt in den Sternenhimmel über Südfrankreich. Man taucht ein in diese Multimedia-Badewanne, in der Claude Monet, Vincent von Gogh, Gustav Klimt, Chagall im Großformat an einem vorbeischweben.   

Eintauchen ist das Wort, wenn die Kunst begehbar wird. Immersion ist das Fachwort dafür, wenn Menschen sich technologiegestützt in virtuelle Welten hineinbegeben. Ein weiter Begriff, der von Virtual Reality über die Augmented Reality (AR) – derzeit noch bei der AR-Biennale des NRW-Forums zu sehen – bis hin zu den immersiven Lichtshows reicht.

Berlin „Monets Garten“ in der früheren Prägeanstalt „Alten Münze“ in Berlin bis 20. März, www.alte-muenze-berlin.de

Bremen „Van Gogh – The immersive Experience“ im BLG-Forum in Bremen bis 27. Februar, danach in der Zeitenströmung in Dresden, www.van-gogh-experience.com

Mönchengladbach Museum Abteiberg, Abteistraße 27, www.museum-abteiberg.de

Paris Atelier des Lumières, 11. Arrondissement, 38 Rue Saint-Maur. Vorübergehend geschlossen bis 17. Februar, aber 18. Februar sind Cezanne und Kandinsky zu sehen, www.atelier-lumieres.com

Unna Zentrum für Internationale Lichtkunst, Lindenplatz 1 in den Gebäuden ehemaligen Lindenbrauerei. Es ist das weltweit einzige Museum, das sich ausschließlich der Lichtkunst widmet, www.lichtkunst-unna.de

Zürich „Viva Frida Kahlo – Immersive Experience“ in der Lichthalle Maag bis 27 Februar, www.vivafridakahlo.ch.

Letztere sind jene Events, die aktuell wie die Seerosen auf Monets Teich sprießen. Corona hin, Pandemie her, sie ziehen Millionen Besucher in ihren Bann. „Viva Frida Kahlo – Immersive Experience“ ist aktuell in Zürich zu sehen, „Monets Garten“ in Berlin  und „Van Gogh – The immersive Experience“ jetzt in Bremen, bald in Dresden. In Frankreich hat Culturespaces, ein privater Betreiber von Denkmälern und Kulturräumen, die digitalen Kunstevents fest installiert: In Paris im Atelier des Lumières, in Bordeaux in einer alten U-Boot-Station und in Les-Baux-de-Provence in einem Steinbruch. Ein Phänomen unserer Zeit sind diese Pixel-statt-Pinselstrich-Shows. Aber sind sie Kunst? Geleiten sie den Betrachter ins Museum? Oder sind Sie eine gut vermarktete Modeerscheinung?

„Ich finde es irritierend, wenn in diesem Zusammenhang der Kunstbegriff verwendet wird“, sagt Mischa Kuball, Professor für Public Art an der Kunsthochschule für Medien in Köln und selbst Konzeptkünstler in Düsseldorf. „Ich habe nichts gegen diese Art der gut gemachten Unterhaltung. Sie hat ihre Berechtigung. Aber ich mag es nicht, wenn sie unter dem Segel der Kunst fährt“, sagt Kuball. Er plädiert für eine Trennung zwischen Events wie den immersiven Lichtshows und der Arbeit von Lichtkünstlern.

Wie etwa der japanischen Pop-Art-Künstlerin Yayoi Kusama, die 1965 psychedelische Spiegelsäle, ihre Infinity Rooms“, baute. Auch sie arbeitete bereits mit Immersion, mit der – wie sie es nannte – „Selbstauslöschung“ des Betrachters.  Wie James Turell, der in seinen „Skyspaces“ in den 1970er-Jahren eine Begegnung zwischen natürlichem und künstlichem Licht herbeiführte. Wie Dan Flavin, der erst mit Glühbirnen und dann mit Neonröhren experimentierte. Wie Robert Irvin, Pionier der Light-and-Space-Bewegung mit ihren kosmischen Einflüssen.

Wie Otto Piene. „Bei ihm hatte Licht sogar etwas Therapeutisches. Er hat seine Kriegserfahrung von Flaklicht umgedeutet in eine positive Lichterfahrung“, erklärt Kuball. Wie bei Heinz Mack, der das reine Licht in Naturräumen erkundete, etwa in seinem Sahara-Projekt, als er den „Jardin artificiel“ aus Sandreliefs, Kuben, Spiegeln, Segeln, Fahnen und Lichtstelen in der Wüste installierte. „Mack in seinem silbernen Anzug in der Wüste. Das war ein Pionier-Moment. 1962 war das mutig“, sagt der Kuball.

„Für mich hat Lichtkunst einen aufklärerischen, kritischen oder analytischen Ansatz. Ich möchte nicht, dass es als Kunst missverstanden wird, wenn jemand zwei Lampen auf ein Gebäude richtet“, sagt Kuball. „Ich sträube mich gegen die Kakophonie des Lichts, die uns inzwischen an vielen Orten begegnet – im Stadtmarketing, in Einkaufszentren, in Parks.“

Die Landmarken-Kunst – etwa Otto Pienes Grubenlampe auf der Halde Rheinpreußen oder die Beleuchtung des Landschaftsparks Nord in Duisburg – grenzt der Konzeptkünstler davon ab. „Dabei geht es um Konversion, um die Umnutzung, um die Neudeutung eines Gebäudes oder einer Landschaft. Wie auch in Christos Verhüllung des Reichstags eine Kraft liege: Ein historisch unter anderem durch den Nationalsozialismus schwer belastetes Gebäude wird einer neuen demokratischen Nutzung zugeführt.

Die immersiven Lichtshows haben für den Hochschullehrer etwas Gigantomanisches. „Es geht doch nur darum, etwas aufzublasen. Es geht nicht um die Betrachtung und Wirkung einer künstlerischen Idee, es geht um Überwältigung. So viel Licht, Form, Farbe macht mich sprachlos. Mir fehlt dabei eine kritische Distanz“, sagt Kuball und bleibt damit noch verhalten verglichen mit dem harschen Urteil der „Süddeutschen Zeitung“. Sie watschte die Shows als „bunten Bombast aus Licht, Skulptur und Digitalem“ ab.

Susanne Titz, Direktorin des Museums Abteiberg in Mönchengladbach, ist da zurückhaltender in ihrem Urteil. Sie sieht die Lichtshows als ein gesellschaftliches Phänomen, das sich aus der Kulturgeschichte der Illusion ableitet, die mit den 360-Grad-Ansichten der ersten Panoramen und der 3D-Wirkung von Dioramen (Durchscheinbildern) beginnt. „Es setzte sich fort in den bewegten Bildern des Kinos und des Films. Auch diese Medien stießen in ihren Anfängen auf riesige sinnliche Resonanz. Und manche fanden es auch, schwer zu ertragen“, sagt Titz.  

In den 1960er-Jahren habe man dann mittels Drogen etwa LSD versucht, das Sehen zu erweitern. Die Techno-Clubparties mit ihren hypnotischen Lasershows passten ebenfalls in diese Entwicklung hinein. „Auch dort taucht man ein in einen Augenblick“, sagt Titz. Für die Direktorin des Museums, das für seine zeitgenössische Kunst berühmt ist, ist dieser rauschhafte Moment des Eintauchens der Kern des Erfolgs der immersiven Lichtshows.   „Da müssen wir uns die Fragen stellen: Warum begeben wir uns in diesen Moment? Woher kommt diese Begierde? Warum zieht uns ein solches gesellschaftliches Ereignis an?“, fragt Titz.

In der Kunst gehe es hingegen immer auch um die Distanzierung. „Bei den Berliner Festspielen 2016 war die Immersion das zentrale Thema. Und es ging darum, dem digitalen Zeitalter eine Schule der Distanz entgegenzusetzen, die visuelle Macht kritisch zu hinterfragen“, sagt Titz.

 Distanz aber ist nicht das Mittel der Wahl in den immersiven Shows, sondern die Vergrößerung. Das Aufplustern der bekannten Werke großer Maler bringe aber keine Neuentdeckung, sei lediglich eine Formatverschiebung, eine Überdimensionierung, sagt  Kuball. Im Gegenteil frage er sich, ob nicht das Original auf der Strecke bleibe, das der Künstler mit Bedacht auf eine Größe angelegt habe: „Man kann das auch als Respektlosigkeit gegenüber dem Künstler und seinem Werk verstehen.“

Oder aber als Demokratisierung der Kunst, wie die Veranstalter der Multimedia-Räume argumentieren. Sie sprechen ein breites Publikum an, junge Menschen vor allem, bringen Malerei und Musik unters Volk. Sie wollten die 80 Prozent der Leute erreichen, die nicht regelmäßig ins Museum gehen, heißt es bei Culturespace, dem Betreiber des Pariser Atelier des Lumières. Von „Edutainment“ – einer Mischung aus Education und Entertainment sprechen die Macher der Frida-Kahlo-Show.

„Das wäre schön, ein interessanter Ansatz“, sagt Kuball. Doch er hat Zweifel, ob die Shows den Menschen die Kunst – auf lange Sicht – wirklich näherbringen. Auch Susanne Titz ist da eher pessimistisch. „Im Museum gilt das Original. Aber wie stark ist der Reiz des Originals im Gegensatz zu den gigantischen Projektionen? Vielleicht sind manche ja auch enttäuscht, wie klein das Original ist.“ Museen seien anders attraktiv. „Es gibt die Unmittelbarkeit der Nähe“, sagt Titz. „Und ich bin selbstgesteuert. Ich entscheide, wie lange ich ein Werk betrachte, ob ich mich davor hinsetze oder weitergehe.“

„Die Shows funktionieren als Wellness-Erlebnis“, sagt Susanne Titz. Eine Erfahrung sind sie. Wer mehr will, muss nach dem Bad aufstehen und ins Museum gehen.

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