Ukrainekrieg hat vielerlei Auswirkungen auf französische Landwirtschaft – EURACTIV.de

2022-06-24 17:37:51 By : Admin

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Von: Hugo Struna | EURACTIV.fr | übersetzt von Helena Borst

29-03-2022 (aktualisiert: 06-04-2022 )

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat die Abhängigkeit Frankreichs vom Ausland offenbart. Eine Dependenz, die im Agrarsektor besonders ausgeprägt ist, da die Ukraine und Russland in nur wenigen Jahren zu wichtigen Exportländern geworden sind. [Melanie Hobson]

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Dieser Artikel ist Teil des special reports Ernährungssouveränität im Zeichen des Ukrainekriegs

Russlands Invasion in die Ukraine hat sich auf fast jeden Aspekt des französischen Agrar- und Lebensmittelsektors ausgewirkt. EURACTIV Frankreich zieht eine Bilanz der Folgen und entsprechenden Gegenreaktionen innerhalb der Branche.

Seit Beginn des Krieges sind die Energie- und Rohstoffpreise in die Höhe geschnellt. Dadurch wurde die Abhängigkeit Frankreichs vom Ausland deutlich. Insbesondere der Agrarsektor ist seit den letzten Jahren stark auf Importen aus der Ukraine und Russlands angewiesen.

So sind seit Ende Februar die Treibstoffpreise in die Höhe geschnellt. Ein Barrel Öl kostet bereits mehr als 100 Dollar. Die historisch hohen Preise fallen bei dem schweren Gerät, das in der Landwirtschaft zum Einsatz kommt, besonders ins Gewicht.

„Ein Traktor kann zwischen 150 und 200 Liter (Diesel) pro Tag verbrauchen und ein Mähdrescher zwischen 250 und 300 Liter“, sagte Gérald Duwer, Landwirt in Plessis-Placy, gegenüber der Regionalzeitung La Marne (Grand Est).

Das Gleiche gilt für Gas.

„Vor COVID-19 kostete eine Tonne Gas 680 Euro. Jetzt kostet sie 1.000 Euro, aber am schlimmsten ist der Diesel, der von 650 € pro Tonne auf 2.400 € gestiegen ist“, sagte Philippe Rauly, ein Viehzüchter in Südfrankreich, der Zeitung La Dépêche.

Das Betanken der Traktoren mit Dieselkraftstoff, das Beheizen der Gewächshäuser mit Gas, die Belüftung und Beleuchtung – all das treibt die Energiekosten in die Höhe.

Nach Angaben der französischen Agentur für Umwelt und Energiemanagement (ADEME) „liegen die Energiekosten landwirtschaftlicher Betriebe bei durchschnittlich 7.800 Euro pro Jahr. Davon werden um die 5.100 Euro für Treib- und Brennstoffe ausgegeben, die an den Ölpreis gebunden sind.“

Auch Futtermittel sind teuer geworden, da bisher aus Russland und der Ukraine 30 beziehungsweise  20 Prozent des weltweiten Weizen- und Mais-Exports stammten.

Der Kriegsausbruch hat Frankreichs und Europas Viehwirtschaft insofern hart getroffen, da Getreide und pflanzliche Proteine die Grundlage des Viehfutters bilden.

„Betriebe mit Schweinen und Geflügel, die mit Getreide gefüttert werden, sind etwas stärker betroffen, auch wenn es im Moment schwierig ist, genaue Zahlen zu nennen. Bei Rindern ist das anders. Die Nahrungsgrundlage von Kühen besteht aus Gras, vor allem im Frühjahr, wenn die Tiere auf die Weide müssen“, sagte Jérémy Decerle, Europaabgeordneter und Rinderzüchter in Saône-et-Loire, in einem Interview mit EURACTIV.

Die Landwirtschaft ist für die EU angesichts des Krieges in der Ukraine zu einer wichtigen Sicherheitspolitik geworden, so EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski, der diesen Sektor mit der Energie gleichsetzte.

Stickstoff, eines der am häufigsten verwendeten Düngemittel für den Weizenanbau, kostet inzwischen fast 800 Euro pro Tonne. Normalerweise liegt der Preis bei rund 200 Euro.

Ein Viertel der in Europa verwendeten Stickstoffdünger kommt aus Russland, das bekanntgegeben hat, seine Verkäufe ins Ausland einzustellen. Diese Ankündigung hat zu einem Preisanstieg von 300 Prozent gegenüber dem letzten Sommer geführt. Die europäische Produktion hat aufgrund der hohen Abhängigkeit von russischem Gas Mühe, die Engpässe auszugleichen.

„Es gibt Kulturen, die keinen Dünger benötigen, wie Rote Beete und grüne Bohnen. Aber andere, wie beispielsweise Weizen, sind sehr anspruchsvoll, was Stickstoff angeht. Ohne den Einsatz von Düngemitteln erzielt man bei Weizen nur ein Drittel des Ertrags. Bei Kartoffeln, Mais und Raps erreicht man ohne Stickstoffeinsatz die Hälfte des Ertrags“, so Landwirt Gérald Duwer gegenüber der Zeitung La Marne.

Der Preis für eine Tonne Weizen hat ein Rekordhoch erreicht und ist im Vergleich zu 2021 von 150 auf 330 Euro pro Tonne gestiegen.

Als einer der größten Weizenproduzenten hätte man erwarten können, dass diese Entwicklung Frankreich zugutekommt. Da jedoch 2021 die Preise für die wichtigsten Getreidesorten auf den internationalen Märkten bereits um 70 Prozent gestiegen sind, haben die Erzeuger:innen einen Großteil ihre Bestände vergangenes Jahr verkaufen.

Der französische Landwirtschaftsminister Julien de Normandie erklärte am 15. März gegenüber dem Sender France Inter, dass die Rentabilität der Weizenproduktion durch die hohen Preise für Düngemittel und Energie schwer beeinträchtigt werde.

Die nächsten Wochen mögen für die französischen Getreidebäuer:innen keine grundlegenden Veränderungen bringen. Aber die wirklichen Schwierigkeiten werden in den kommenden Monaten auftreten, insbesondere bei der Aussaat im September. Die Situation könnte problematisch werden, wenn die Düngemittelpreise hoch bleiben und die Weizenpreise fallen.

Angesichts des Krieges in der Ukraine fordern die Mitgliedstaaten gemeinsam eine EU-weite Strategie für pflanzliche Proteine, die ihrer Meinung nach „mehr denn je“ notwendig sei.Die Europäische Kommission zeigt sich jedoch nicht sehr kooperativ.

Ist Souveränität die Lösung? 

Frankreich hat sich schon immer für die Ernährungssouveränität im Agrar- und Lebensmittelsektor eingesetzt. Seit dem Krieg in der Ukraine hat der Aufruf zu größerer Unabhängigkeit jedoch an Tragweite gewonnen.

„Die Stärke unseres Landwirtschaftsmodells ist, dass es unabhängig ist, wir sind souverän, was die Nahrungsmittel angeht. Es besteht keine Gefahr einer Verknappung“, sagte der Landwirtschaftsminister gegenüber France Inter. Allerdings werde es „unweigerlich“ zu einem Preisanstieg kommen.

Um dem entgegenzuwirken, legte die Regierung am 16. März einen „Resilienzplan“ vor. Dieser sieht vor, ab April 15 Cent pro Liter Benzin zu erstatten und 400 Millionen Euro für Landwirte bereitzustellen.

Die vom Agrarsektor seit langem erwarteten Maßnahmen zielen vor allem darauf ab, dem Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise entgegenzuwirken.

In einer Pressekonferenz nach dem NATO-Gipfel am Donnerstag (24. März) und Gesprächen mit dem Präsidenten der Afrikanischen Union, Macky Sall, kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron eine neue Solidaritätsinitiative an. Diese soll die drohende Nahrungsmittelkrise entschärfen, die über Frankreichs Grenzen hinausgeht.

Nach Angaben des Präsidenten wird die Initiative mit der Bezeichnung FARM (Food & Agriculture Resilience Mission) der ACT-A-Initiative ähneln. Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) infizierte globale Kooperation, hat das Ziel der Entwicklung, Produktion und gerechte Verteilung von COVID-19-Impfstoffen, Medikamenten und Tests.

Wir müssen „die Verantwortung dafür übernehmen, mehr zu produzieren“, sagte Macron. Er betonte, dass dies „unter Einhaltung unserer Standards und Regeln“ geschehen werde.

Die Staats- und Regierungschefs der EU stimmten FARM zu. Sie fügten das Kapitel „Landwirtschaft“ der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in letzter Minute hinzu. Das Hauptziel der Initiative sei die Unterstützung der Ernährungssicherheit und der Landwirtschaft in der Ukraine und den am stärksten gefährdeten Drittländern.

Die Gipfeltreffen der NATO und des Europäischen Rates letzte Woche brachten die Rückkehr der Nahrungsmittelproduktion als Instrument der humanitären Hilfe und der geopolitischen Stabilisierung.

Um die Produktion zu steigern, hat die Europäische Kommission beschlossen, für das Jahr 2022 Ausnahmen zu genehmigen. Sie möchte die produktive Nutzung von vier Prozent der ursprünglich als Brachland ausgewiesenen Flächen zulassen.

Der französische Minister schlägt vor, „diese Flächen für die Produktion von Proteinen zu nutzen, also für Pflanzen, die einen entscheidenden Beitrag zur Umwelt leisten können: Sie binden Stickstoff [im Boden] und reduzieren Treibhausgase, sodass wir keine Düngemittel verwenden müssen.“

Die Entscheidung wurde von den Landwirten in der EU begrüßt. Bei Umweltschützern löste sie jedoch Besorgnis aus. Diese warnen vor den negativen Folgen der landwirtschaftlichen Nutzung von Brachflächen.

So haben 28 Umweltorganisationen, darunter Greenpeace Frankreich und Génération Futures, einen Brief an Macron geschickt. Darin prangern sie die Instrumentalisierung des Krieges in der Ukraine zur Stärkung einer „produktivistischen Landwirtschaft“ an.

„Abgesehen von humanitären Notsituationen ist Hunger keine Frage der Produktion, sondern eine Frage der Verteilung. Ein Drittel der weltweiten Lebensmittelproduktion landet in der Mülltonne„, stellen sie klar.

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