Urban Farming: Ackern in luftiger Höhe - Capital.de

2022-09-09 17:34:39 By : Admin

Mitten in der Einkaufsmeile der Stadt Oberhausen wird Gemüse und Obst angebaut, und zwar im großen Stil. Auf 1.000 Quadratmetern gedeihen unter anderem Kräuter wie Basilikum und Minze, aber auch Erdbeeren. Seit diesem Jahr schwirren sogar Hummeln durch die Pflanzen. Sie sollen die Erdbeerpflanzen bestäuben. Das Besondere: Das Gewächshaus steht in luftiger Höhe, auf dem Dach des städtischen Jobcenters.

Die Stadtfarm in Oberhausen gilt als deutsches Vorzeigeprojekt für Urban Farming. Die Idee: Obst und Gemüse werden auf Dächern angebaut, um urbanen Raum nachhaltig zu nutzen. Das Potenzial ist gewaltig: Nach Einschätzung des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT gibt es hierzulande mehr als 360 Mio. Quadratmeter freie Dachfläche, die sich für den Anbau von Obst und Gemüse eignen würde. Allein in der Hauptstadt Berlin ließen sich bis zu 7300 Dächer bepflanzen. „Trotzdem sind Dachfarmen in Deutschland bislang kaum verbreitet“, sagt Volkmar Keuter, Abteilungsleiter für Umwelt und Ressourcennutzung bei Fraunhofer UMSICHT.

Eigentlich liegt es nahe, Nahrungsmittel dort anzubauen, wo sie auch gegessen werden. Zucchini und Tomaten fürs Abendessen direkt vom eigenen Dach zu ernten, passt heute zum Lebensgefühl vieler Menschen. Studien zeigen immer wieder, dass Verbraucher verstärkt regionale und saisonale Lebensmittel kaufen, ohne lange Transportwege. „In Deutschland ist die urbane Landwirtschaft definitiv ein wachsender Markt“, bestätigt Ressourcenexperte Keuter.

Nach Einschätzung des Fraunhofer-Instituts lässt sich schon mit kleinen Dachflächen ordentlich gärtnern. Dach-Gärtner mit wenig Platz können etwa Tomaten, Salat oder Kräuter anbauen. Lediglich hochkalorische Lebensmittel wie Kartoffeln eignen sich weniger gut für den Anbau auf dem Dach, da sie verhältnismäßig schwer sind und viel Platz einnehmen. Letztlich bietet ein begrüntes Hausdach aber auch ohne große Ernte zahlreiche Vorteile. Denn die Pflanzen wirken wie eine zusätzliche Dämmung, was Energiekosten senkt. Außerdem schützen sie das Dach gegen Sonneneinstrahlung und Verwitterung.

Wer sein Dach bepflanzen will, muss vor allem die Statik im Auge haben. Ein Architekt sollte im Vorfeld bescheinigen, wie viel Gewicht die Dachbalken aushalten. Weil viele Dachflächen nicht sonderlich tragfähig sind, empfehlen Experten sogenannte hydroponische Anlagen. Diese kommen ohne schwere Erde aus und sind damit leichter als andere Gärten. In hydroponischen Töpfen wachsen Pflanzen in künstlichen Granulaten oder Tonkügelchen. Das Wasser fließt in diesen Töpfen in einem dünnen Strom an den freiliegenden Wurzeln vorbei.

Eine weitere Herausforderung liegt darin, das nötige Wasser aufs Dach zu bekommen. Denn ohne passende Bewässerungsanlage können Pflanzen auf dem Dach nicht wachsen. „Am besten eignet sich ein geschlossener Wasserkreislauf“, sagt Keuter. Wer besonders ressourcenschonend ackern möchte, kann Regenwasser sammeln oder das Abwasser des Hauses aufbereiten lassen.

Letztlich ist Urban Farming eine Kostenfrage. Gärtner sparen zwar Geld, wenn sie ihr Gemüse nicht mehr im Supermarkt einkaufen müssen. Doch die Kosten für Strom, Bewässerung und auch Windschutz sind hoch – von den Anschaffungskosten ganz zu schweigen. Wer nicht bloß romantisch vor sich hin gärtnern, sondern effizient anbauen will, muss mit hohen Investitionskosten rechnen. Das macht die oben geernteten Lebensmittel teurer als konventionelle.

„Aus ökonomischer Sicht rentieren sich Dachfarmen erst ab einer Fläche von etwa 1000 Quadratmetern“, sagt Keuter. In der Regel sei es einfacher, einen Dachgarten bei einem Neubau einzuplanen, anstatt ihn auf ein bestehendes Dach zu bauen. Konventionelle Stadt-Dächer sind undankbar: Sie werden heiß und sind oft instabil. Jedes sieht anders aus, manche bieten keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen. All das macht es schwierig, schnell und ohne zusätzliche Baumaßnahmen Gewächshäuser draufzusetzen.

Für Privatpersonen ist Urban Farming also vor allem ein Hobby – zumindest nach heutigem Stand. Für Unternehmen lohnt es sich dagegen schon jetzt, über Gewächshäuser nachzudenken, sagt Ressourcenexperte Keuter. „Das betrifft nicht nur Supermarktketten, sondern auch die Kosmetik- und Pharmabranche und da vor allem Unternehmen, die pflanzliche Rohstoffe verwenden.“ Viele Heilpflanzen kommen aus Südamerika, ihre Qualität schwankt saisonal stark. Würden Unternehmen ihr eigenes Dach bepflanzen, könnten sie die Rohstoffe mit gleichbleibender Qualität ernten – direkt am Ort des Bedarfs.

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